Wer unverschuldet aber unbehelmt mit dem Rad einen Unfall erleidet muss nicht zu 20% mithaften. So oder ähnlich werden demnächst die Zeitungsmeldungen lauten. Das ist richtig. Es ist aber auch grottenfalsch, weil unvollständig. Was war geschehen? Eine Dame wurde unverschuldet über den Haufen gefahren. Wie man sich denken kann, trug sie keinen Helm. Das Oberlandesgericht hatte entschieden dass sie für die Verletzungsfolgen zu 20% mithaften müsse. Das Tragen eines Helms hätte die Folgen nämlich gemindert. Das Tragen eines Helms ist für Radfahrer gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Radfahrerin hatte somit nicht gegen Gesetze verstoßen. Der BGH hat dem OLG zunächst darin zugestimmt, dass einem Geschädigten auch ohne Verstoß gegen Vorschriften haftungsrechtlich ein Mitverschulden angelastet werden kann. Das dann, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Da fragt man sich: Wer ist ein ordentlicher und verständiger Mensch und welche Sorgfalt legt er an den Tag? Der BGH hilft und gibt eine griffige Formel an die Hand:
Dies wäre hier zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre.
Nun also das allgemeine Verkehrsbewusstsein. Auf Deutsch: Wie machen es denn alle anderen? Das beantwortet die Bundesanstalt für Straßenwesen. Dass es diese Bundesanstalt gibt, dürfte allenfalls unterbewusst bekannt gewesen sein. Nun schießt die Forschungsanstalt des Verkehrsministeriums in die Schlagzeilen. Es hat nämlich ermittelt, dass 2011 nur 11% der Radfahrer innerorts einen Helm getragen haben. Der BGH folgert hieraus:
Ein solches Verkehrsbewusstsein hat es jedoch zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin noch nicht gegeben.
Das ist für die verletzte Dame schön. Für alle anderen sagt das aber so gut wie nichts aus. 2012 trugen 13% aller Radler einen Helm, 2013 schon 14%. Bei Rennradlern dürfte die Helmquote wesentlich höher liegen. Bei den 6 – 10-jährigen lag die Helmquote für 2013 bei 75%. Bei den 11 – 16 jährigen „nur noch“ 28%. Ab wann das Verkehrsbewusstsein das Tragen eines Helmes aufdrängt und ab welchem Alter man das einsehen kann, ist offen. Entgegen dem Boulevard ist also gar nichts geregelt außer, dass der Einzelfall entscheidet. Geradezu strotzend vor Ahnungslosigkeithat hat der ADFC das Urteil kommentiert.
Das ist ein guter Tag für Radfahrer in Deutschland und zeigt, dass Radfahren kein Risikosport ist.
Ich kann mich irren aber mit der Frage, ob Radfahren ein Risikosport ist, hat sich weder der BGH, noch sonst jemand befasst.